Verwahrlosung der Zucht - Interview mit Dr. Thomas Grupp

Er ist einer der Vordenker der Fleckviehzucht! Dr. Thomas Grupp ist Geschäftsführer der Bayern-Genetik. Die Bayern-Genetik hat mit ihren Bullen wie kaum eine andere Besamungsstation die Geschichte der Bayerischen Fleckviehzucht beeinflusst. In einem Interview mit zuechterblog.com äußert sich Grupp zu seinen Erfahrungen mit der genomischen Selektion. Auch zum Thema Kuhlernstichprobe hat er eine klare Meinung.  

 

 

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Es ist kein Geheimnis, dass die Bayern-Genetik ein besonderes Verhältnis zur genomischen Selektion entwickelt hat. Vieles was andernorts wort- und meinungslos hingenommen wird, wird in Ihrem Haus kritisch hinterfragt. Nach 7 Jahren genomischer Selektion, was kann sie und was kann sie nicht?

 

 

 

DR: GRUPP

Wie wohl jede andere Besamungs- oder Zuchtorganisation, war auch die Bayern-Genetik beim Einstieg in das genomische Zeitalter überaus gespannt und sehr euphorisch. Nach dem Auflaufen der ersten Zuchtwerte wurden ca. 200 Wartebullen der Schlachtung zugeführt und sofort nach den potentiellen Spitzenbullen Ausschau gehalten. Ich erinnere noch an einen unserer damaligen genomischen Spitzenbullen, den Rorb-Sohn REDPACK mit 141 GZW, der natürlich danach stärker eingesetzt wurde, kein Wunder bei deutlich über + 1.000 kg Milch und guten Exterieurwerten. REDPACK konnte sich im weiteren Verlauf nur beim Fleischwert steigern, alle anderen Werte fielen extrem tief. Diese extremen Abstürze waren es letztlich, die das Vertrauen in das neue System erschütterte. Als dann der Hype mit den hohen Preisen begann, wie bsp. IROLA PS, dessen eigenes Exterieur am Markt vielleicht gerade noch ZWKL III rechtfertigte, setzte die Verwahrlosung in der Zucht ein. Die jungen Bullen wurden so vermarktet, als wären sie in der Lage, ihre Papiere „eins zu eins“ in die Realität überführen zu können. Einsatz als Bullenvater, zig tausende Besamungen mit hunderten auflaufenden Töchtern und dann die große Enttäuschung. Damals wurde mir deutlich vor Augen geführt, dass die genomische Selektion für eine Population, wie der Rasse Fleckvieh, ein Fluch sein kann, wenn die Anwendung falsch betrieben wird. Ich komme heute leider zu dem Schluss, dass wir insgesamt bei Leistungs- und Exterieurmerkmalen keine signifikante Verbesserung bei der Selektion der Jungbullen haben. Deshalb sind wir selbst von dem hochtrabenden Namen „Kandidat“ wieder abgerückt und bezeichnen die genomischen Jungbullen heute wieder als „Prüfbullen“.

 

 

 

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Kann man eine Zwischenbilanz ziehen? Hat die Genomic der (Fleckvieh-) Zucht bisher genutzt oder eher geschadet?

 

 

 

DR: GRUPP

Auf der Habenseite stehen für mich eindeutig, die Entdeckung der Erbfehler beim Fleckvieh und die wahnsinnig effektive Arbeit aller Institutionen zur Entlarvung und Kennzeichnung der Anlageträger. Ohne diese molekulargenetischen Möglichkeiten wäre die Rasse in kurzer Zeit in die Bredouille geraten mit apokalyptischen Ausmaßen. Wir können alle nur dankbar sein für diesen Quantensprung und die akribische Arbeit der Genetiker in Weihenstephan, Grub und Wien. Auf der Soll-Seite sehe ich eine zunehmende Verwahrlosung der Zucht. Während wir vor 10 Jahren große Probleme hatten, Prüfbullen erfolgreich zu testen, bei Einsatzzahlen von 17 – 25 %, da die Erfolgsquote bei ca. 30 % Vererber lag, werden heute von Genetikern, Zuchtleitern und Geschäftsführern mindestens 50 % besser jedoch 80 % Prüfbulleneinsatz gefordert, obwohl sich an der Erfolgsquote „Vererber“ nichts geändert hat, d.h. die Betriebe gehen ein deutlich höheres Risiko ein, „Versager“ und mehr „Mittelmaß“  in die Herde zu bekommen. Letztlich bezahlen die Landwirte den Hype!

 

  

 

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Nach den bisherigen Erfahrungen, welchen Ratschlag geben Sie den Milcherzeugern bei der Bullenauswahl.

 

 

 

DR: GRUPP

Da ich selbst Rinderzüchter bin, der in seinem Leben nur eine begrenzte Zeit hat, um durch züchterische Maßnahmen seine Herde zu verbessern (Leistung, Exterieur, Fitness), kann ich dem „normalen Milchviehhalter“ ehrlicherweise nur folgenden Rat geben – konsequente Arbeit mit geprüften Bullen und Sicherheiten von > 90 %, da selbst bei diesen hohen Sicherheiten noch Manches schiefgehen kann, wie mir jeder Züchter bestätigen wird. Ich empfehle für diese Betriebe wie früher, den Prüfbullenanteil bei 25 – 30 % zu halten und gleichzeitig nicht zu viel Sperma von einem Prüfbullen einzusetzen. Für den Züchter, der darauf spekuliert, Zuchtbullen für die nächste Prüfbullengeneration zu züchten, sieht es wieder anders aus. Spielt er das „Spiel“ mit Papieren nicht mit, ist er irgendwann weg vom Fenster. Die Entwicklung läuft jedoch immer mehr auf „Russisches Roulette“ hinaus – die Sicherheiten bewegen sich nach unten, wenn Vater und Großvater noch keine Prüfergebnisse vorweisen können – man züchtet im dichten Nebel. Ich appelliere deshalb an alle Verantwortlichen, sich der „Verantwortung“ für die Rasse bewusst zu sein. Ein Jungbulle, der zwar hohe Zuchtwerte auf dem Papier stehen hat, aber eigentlich von seinem eigenen Exterieur (Typ, Skelett, körperliche Mängel) nicht zur Körung geeignet ist, sollte ohne „Wenn und Aber“ aus der Zucht ausgeschlossen werden. Durch Photoshopping („Betrug am Landwirt“) werden diese Mängel häufig kaschiert, um dem Endkunden zu suggerieren, dass er neben tollen Zuchtwerten auch einen ansprechenden Jungbullen bekommt.

 

 

  

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Was ist für Sie wichtiger Sicherheit oder Zuchtfortschritt oder gehört am Ende beides zusammen?

 

 

 

DR: GRUPP

Sicherheit ist die wichtigste Größe für die Milchviehhalter, nicht nur in der Auswahl der Bullen, sondern natürlich auch bei den Milch- und Rindfleischpreisen oder der Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik. Zuchtfortschritt muss zukünftig anders definiert werden. An erster Stelle stehen für mich dabei Merkmale der Gesundheit und Produktqualität. Wir bewegen uns in Europa in nahezu gesättigten Märkten. Die Konkurrenz um „Menge oder Masse“ können wir in Bayern nicht bestehen, aber in der Qualität der Erzeugnisse aus Milch und Fleisch können wir punkten und weltweit Standards setzen.

 

 

 

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Viele Braunviehzüchter schauen neidisch auf die teils hohen Versteigerungspreise für Fleckviehbullen. Fluch oder Segen?

 

 

 

DR: GRUPP

Mehr Fluch als Segen, eindeutig! Hohe Versteigerungspreise schüren ein Verlangen und steigern die Nachfrage. Bei Betrachtung der Bullen mit den höchsten Verkaufspreisen nach Eintritt in die Realität (Prüfergebnis), fällt das Ergebnis ernüchternd aus. Ein Klassiker ist für mich dabei der Bulle WELTENBURG. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass nur ein Bulle, der sich in der Prüfung bewährt, auch ein guter Bulle ist und der Besitzer dieses Bullen sollte dann entsprechend belohnt werden, wenn sich die Qualitäten herausgestellt haben. Gute Bullen müssen gut bezahlt werden!

 

 

 

 

 

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Kann sich eine Besamungsstation eine andere Meinung zur Genomic überhaupt leisten? Am Ende werden die Listen ja nach GZW gereiht und jeder will oben stehen.

 

 

 

DR: GRUPP

Das ist ein trauriges Kapitel. Nein, keine Station kann sich eigentlich eine konträre Meinung leisten, weil der vorherrschende Mainstream der Genomischen Selektion folgt, wie dem „Zug der Lemminge“. In früheren Zeiten war es „Kunst“ in Verbindung mit „Glück“ einen Vererber zu entdecken. Vielen Organisationen ist dies sehr selten oder nie gelungen. Heute können dieselben Organisationen auf die Zuchtviehmärkte fahren und schon vorher bestimmt sagen: „Heute kaufe ich mir die Nr. 1“. Nach unserer Erfahrung und unserem Zuchtverständnis hat dies mit Zuchtarbeit herzlich wenig zu tun, dass kann auch ein Schüler in der 2. Grundschulklasse, dazu brauchen wir keine gut bezahlten Mitarbeiter in der Rinderzucht. Aus eigener leidvoller Erfahrung in der Vergangenheit bei Themen, wo wir bereits gegen eine große Mehrheit gestanden haben (TMR & Fleckvieh, Kreuzungszucht Fleckvieh x Holstein), wissen wir, wie schwierig es ist, in dieser Branche eine eigenständige Meinung zu haben oder besser gesagt, durchzuhalten. Jüngstes Beispiel ist die Diskussion um die sogenannte a2-Milch, worin ich persönlich eine Revolution der globalen Milchproduktion sehe. Der Mainstream, und dass sind sicherlich 99 % der Zuchtorganisationen und Molkereien, ist sich sicher, dass diese Entwicklung eine esoterische Spinnerei ist. Auch hier bleiben wir gelassen oder sagen selbstbewusst -  wir wissen es einfach besser!

 

 

 

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Bei Braunvieh startet in Kürze das vom Bund mitfinanzierte Programm Braunvieh Vision. Es geht um die Einführung einer Kuh-Lernstichprobe, diese soll der Genomic zu höheren Sicherheiten verhelfen. Beim Fleckvieh war man bisher an dieser Stelle eher zurückhaltend. Selbstzufriedenheit mit dem Status quo oder Skepsis?

 

 

 

DR: GRUPP

Wir sind klar der Meinung, dass die weibliche Lernstichprobe zum momentanen Zeitpunkt nicht notwendig ist. Im Rahmen der Rinderzucht Südbayern e.V. haben sich vor Jahren alle Besamungsstationen und Zuchtverbände darauf geeinigt und beschlossen, bei jedem „genomischen Bullen“ einen „sauberen“ Prüfeinsatz zu gewährleisten. Dieser Beschluss wurde nur von der Bayern-Genetik umgesetzt, d.h. die phänotypischen Leistungen unserer Prüfbullen tragen sehr wesentlich zur Sicherheit im genomischen System bei. Die aktuelle Vermarktung der Jungbullen, bereits nach Ankauf auf dem Markt, führt zu völlig verzerrtem Einsatz und zu unbrauchbaren ersten Leistungen. Würden sich alle Besamungsstationen an diese Richtlinien halten, hätten wir das Problem der rückläufigen Sicherheiten nicht. Summa summarum – wir machen unsere Hausaufgaben! Wir sind nicht bereit, ohne entsprechende nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse der vergangenen 7 Jahre, einfach weitere hohe Geldbeträge in eine Kuh-Lernstichprobe einzuzahlen! Erst wenn wir diese Ergebnisse vorliegen haben, entscheiden wir, ob und wie viel wir bereit sind, zu investieren.

 

 

 

 

 

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Danke für das interessante Interview!

 

 

Kommentare: 5
  • #5

    Geisenberger Hans (Dienstag, 19 Dezember 2017 09:26)

    Vieles wurde hier schon zu dem Komplex " gen. Zucht" geschrieben..
    Aber eine Frage kommt mir immer wieder in den Sinn:
    Sind gen. hochprognostizierte Bullen ( im"Hochglanzkatalog" beworben ) mit extrem hohen Erstbesamungszahlen "Systemrelevant" und dürfen
    dann mit eigenen, schlechten Töchterergebnissen nicht "abstürzen" ?????
    Konkret: wenn ein Bulle (gleich welcher Rasse) als gen. Überflieger mehrere Tausend Töchter produzieren durfte, dazu noch mehrere Duzend Söhne in die Besamung eingestellt wurden, wenn seine Töchter dann mit ihren tatsächlichen Leistungen eher Bescheiden daherkommen : was dann ????
    Ist meine Frage relevant, oder können wir ganz beruhigt sein ? Was meint Ihr ?

  • #4

    Adrian Zürcher (Sonntag, 26 November 2017 11:12)

    Dr. Grupp spricht mir aus dem Herzen.
    Leider ist heutzutage ein Hochglanzkatalog wichtiger als gute Genetik.
    Die Genomik ist für die Erstselektion von Stierkälber ein gutes Instrument, wenn sie mit Verstand eingesetzt wird und der Selektierer die Hintergründe der Werte versteht. Zum Züchten reichen die Sicherheiten aber kaum.
    Dazu braucht es nach wie vor ein sauberes Nachzuchtprüfresultat. Deshalb spreche ich als Tierarzt auch lieber von einer genomischen Prognose als von einer Prüfung.
    Bei einer Rasse wie den Holsteinern kommt das genomische Lottospiel etwa einer Fahrt mit 200 Sachen durch dichten Nebel auf einer Autobahn gleich. Bei kleineren Populationen wie dem Fleck- und dem Braunvieh mit ihren kleinen Betriebsstrukturen befinden wir uns aber eher auf einem Feldweg.

  • #3

    Günther Hartwig (Sonntag, 19 November 2017 15:10)

    Ich glaube Zucht - fort- schritt........ heisst für mich mal man entfernt sich dem Ziel....oder????
    fort heisst doch eigentlich weg?

  • #2

    Fredy Abächerli (Sonntag, 12 November 2017 20:53)

    Ganz klar mit einer nach guter Zuchtpraxis für Dein Zuchtziel geplanten und passenden Paarung auf Deine Kuh. Beim Braunvieh hast Du mit genomisch geprüften Stieren ein grösseres Risiko für Zuchtrückschritte.
    Ich wähle zum Beispiel lieber den nachzuchtgeprüften Cadence als einen genomisch geprüften Sohn wie Dynamite mit tieferem Gesamtzuchtwert und höheren Exterieurwerten.

  • #1

    Jan Knappe (Sonntag, 12 November 2017 16:39)

    Dass man mit dem Einsatz von genomisch geprüften Stieren sich die Zucht schlecht macht lässt sich leicht verstehen. Aber wo erreiche ich einen höheren Zuchtfortschritt? Mit genomisch geprüften oder Nachkommensgeprüften vererbern?