Mit Nutzungsdauer und Persistenz auf der sicheren Seite

Mit freundlicher Erlaubnis von Konrad Lustenberger
Mit freundlicher Erlaubnis von Konrad Lustenberger

Die besten Kühe der Welt - dieser Blogbeitrag hat in der Szene für große Aufmerksamkeit gesorgt. Ich liebe das Braunvieh und für mich gibt es nichts besseres als eine gute Braunviehkuh, das ist so und ich hoffe das bleibt so. Es ist aber weiß Gott keine leichte Aufgabe eine gute Braunviehkuh zu züchten. Wie im Folgenden beschrieben wird, spielen Nutzungsdauer, Persistenz und die Sicherheit der Zuchtwerte dabei eine ganz zentrale Rolle.

 

Gut ist natürlich immer relativ denn es kommt auf den Standpunkt an. Für den einen ist eine gute Braunviehkuh eine gute Schaukuh. Die moderne Schauzucht mit all ihren Auswüchsen (übervolle Euter, übertriebenes Fitting, Lauftraining usw.) ist heute nur noch etwas für Profis die kompromisslos an die Sache herangehen und bereit sind alle Register zu ziehen.  Am Ende des Schautages stehen dann Braunviehkühe vorne die zwar auf ihre Art schön sind, aber sind sie auch gut? Werfen wir einen Blick auf die Bundesbraunviehschau in Imst. Blooming, Jongleur, Biver, Fantastic und Solaris waren erfolgreich. Aber sind es gute Bullen? Es sind gute Bullen für die Schau, ohne Zweifel, aber um im Wettbewerb mit Holsteins oder Fleckvieh bei der Arbeit im Stall bestehen zu können haben sie große Defizite. Blooming ist stark negativ in der Fettvererbung, in den Managementmerkmalen Nutzungsdauer, Persistenz, Leistungssteigerung, Zellzahl und Melkbarkeit ist er auf deutsch- österreichischer Datenbasis durchwegs negativ.  Dazu macht er extrem frühreife und sehr große Tiere. Jongleur ist schwach in der Milch, schwach im Fett, hat eine knappe Persistenz und einen niedrigen Zellzahlzuchtwert. Dennoch denke ich mittlerweile er ist  noch einer der Besseren, was vor allem durch sein hoher Nutzungsdauerzuchtwert deutlich wird.  Auch Biver macht massive Kühe mit verhältnismäßig wenig Milch bei schlechter Persistenz und moderater Leistungssteigerung. Fantasitic ist negativ in der Leistung, hat dazu noch eine unterirdische Persistenz und toppt das Ganze noch mit einer negativen Melkbarkeit. Solaris ist schlecht in der Milchleistung, unterirdisch in der Persistenz, mies in der Leistungssteigerung und übel in der Melkbarkeit. Dass solche Bullen überall in Europa und sogar in den USA die Schauen dominieren ist ein Phänomen.

 

Jetzt werden sich die deutschen und österreichischen Zuchtverantwortlichen die Hände reiben, denn mit ihren Zuchtprodukten schnitten sie ja in Imst nicht nur schlecht ab, sie waren im Heimatland der Alpengenetik nur ganz spärlich vertreten. Aber nicht weil es verkannte Schönheiten sind, sondern weil man viele Zuchtprodukte nach fünf Jahren genomischer Selektion gar nicht mehr anschauen kann. Hier werden Kühe gezüchtet die immer schmäler werden und am Ende ihr eigenes (meist zu großes) Euter nicht mehr tragen können. An Galgenhumor grenzt dabei die Aussage eines Zuchtleiters die erst kürzlich im Allgäuer Bauernblatt zu lesen war. >>Wieder sind es die guten Ergebnisse der bereits breit eingesetzter Bullen, die die Qualität der genomischen Zuchtwertschätzung und damit den breiten Einsatz der scharf selektierten Bullen belegen<<. Ich vermute ja er versucht uns damit davon zu überzeugen, dass die genomische Selektion in Deutschland gut funktioniert. Tut sie aber nicht! Nachzulesen hier auf dieser Seite im Bericht >>Zu viele Rohrkrepierer<<. Die Deutschen Granden züchten am Computer seit Jahrzehnten überwiegend mit den falschen Bullen und errechnen sich selber einen Zuchtfortschritt auf dem Papier den es so gar nicht gibt.

 

Liebe Leser, es ist nicht ganz so einfach mit den guten Braunviehkühen. Züchten ist im Prinzip wie kochen, man braucht dafür gute Zutaten, man muss wissen wie sie in ihrer Eigenheit schmecken und man muss sie richtig miteinander kombinieren um das perfekte Ergebnis zu erreichen. Kein Spitzenkoch würde einen vermeintlichen Spitzenwein zu seiner Soße gießen ohne vorher zu prüfen wie er schmeckt und ob er geschmacklich dazu passt. Vielleicht ist er zu süß oder zu sauer, im schlimmsten Fall sogar verkorkt. Der beste Wein kann ein Gericht versauen genauso wie die einfachste, auf den ersten Blick unspektakulärste Zutat ein Gericht perfekt abrunden und zum glänzen bringen kann.  Jeder Hobbykoch wird verstehen was ich meine.  Wer einfach nur Blind seine Zutaten zusammenschüttet fährt das Risiko am Ende den ganzen Topf auf dem Misthaufen entsorgen zu müssen. Genau das erleben wir täglich bei den Produkten der genomischen Selektion. Hier muss viel zu viel weggeschmissen werden - welche Verschwendung!

 

Dabei muss das eigentlich nicht sein, es braucht eigentlich nur mehr Geduld. Am Ende ist eine gute Kuh doch immer dann eine gute Kuh, wenn sie seinen Besitzer zufrieden macht. Eine Kuh mit der er zufrieden ist wird er nicht verkaufen und er wird sie nicht schlachten, er wird mit ihr solange wie möglich arbeiten. Am Ende des Tages sind also zufriedenstellende  Kühe die (in Wirklichkeit)  lange auf den Betrieben bleiben, automatisch auch gute Kühe. Wenn das so ist und es spricht einiges dafür , dann ist das Merkmal Nutzungsdauer ein Schlüsselmerkmal der Zucht und ganz besonders der Braunviehzucht. Warum besonders der Braunviehzucht? Weil Braunviehkühe spätreife Tiere sind, die ihre volle Leistungsfähigkeit oft erst in den Folgelaktationen unter Beweis stellen.  Für ihren Gesamtzuchtwert oder Milchwert ist das nicht besonders vorteilhaft, denn hier will man überall schnell Leistung sehen. Das Merkmal Nutzungsdauer fließt zwar in den Gesamtzuchtwert ein, seine Sicherheit ist aber im Vergleich zu den Leistungszuchtwerten gering. Die Aussagekraft des Nutzungsdauerzuchtwerts steigt langsam und benötigt Zeit und damit Geduld. Weil Geduld und Zuchtfortschritt nicht zusammenpassen, schätzt die Zuchtwertschätzung die Nutzungsdauer irgendwie vor und bewegt sich dabei auf ganz dünnem Eis. Die Einbrüche der genomischen Zuchtwertschätzung zeigen, dass man auf diesem Eis nie laufen konnte. Der verzweifelte Versuch jetzt über Braunviehvision ein Kuh-Lernstichprobe ins System einzubetten ist das stille Eingeständnis des Versagens. Plötzlich sollen wir mit enormem Aufwand Gesundheitsdaten erfasst werden weil die Theoretiker erkannt haben, dass das bisherige System nichts taugt. Dabei tun sie so, als sei in den vergangenen fünf Jahren alles gut gelaufen. Es ist aber nicht gut gelaufen. Die Verantwortung dafür übernimmt keiner im Gegenteil, man beweihräuchert sich gegenseitig.  

 

Wenn gute Kühe lange auf den Betrieben bleiben und in den Folgelaktationen zufriedenstellende Leistungen jenseits der 8.500 kg erbringen, dann müssten wir doch unsere Toplisten nicht nach GZW, sondern nach Nutzungsdauer (mit hoher Sicherheit) sortieren?

 

Ich habe dies  auf der Suchmaske von ZuchtData einmal durchgespielt und die Ergebnisse als Screenshots eingefügt.

 

Quelle: ZuchtData
Quelle: ZuchtData
Quelle: ZuchtData
Quelle: ZuchtData

Wir sehen oben eine Zuchtwertliste aus der wir sehr viele interessante Dinge herauslesen  können.  

 

Erstens finden sich in dieser Liste enorm viel Original Braunviehbullen.  Die aktuelle (ZWS April 2019) Nummer 2 ist hier  der Stier Amkil mit ND 131, Geburtsjahr 1969! Soviel zum Thema Zuchtfortschritt der letzten 50 Jahre.

 

Zweitens fällt auf, dass das Simon- und insbesondere das Ensign-Blut in puncto Nutzungsdauer große Überlegenheit zeigt.

 

Weil uns die alten, aber langlebigen OB-Stiere nicht interessieren geben wir bei Zuchtwertkriterium GZW 100, Euter 105 und Sicherheit 90 ein.

 

Quelle : ZuchtData
Quelle : ZuchtData

 

Hier finden wir also alle Bullen mit GZW über 100, Euter mindestens 105, gereiht nach Nutzungsdauer. Wir finden in den Top-50 immer noch viele alte Bullen aus der Vergangenheit. Der Reihe nach Proteus, Vigor, Posifax, Paul, Ensign, President, Premium, Prohuvo, Etpat, Hupoly, Edison, Siray, Alibaba, Denpro, Even, Nesta. Ensign, Even, Vigor, President, Nesta und Alibaba wurden als Bullenväter erfolgreich und führen alle Simon-Blut. Siray hat zwar keinen guten Sohn hervorgebracht, verewigte sich aber über Huray und Vasir in der Braunviehzucht. Eher unbekannte  Bullen wie Proteus, Denpro oder Edison  wurden nicht als Bullenväter genutzt. Etpat nur begrenzt. Interessant sind aber vor allem die Bullen die wir in dieser Liste überhaupt nicht finden, die aber in der deutschen Zucht stark genutzt wurden. Wir finden in den Top-50 keinen Vinos, Vinbrei , keinen Etvei, keinen Jolt, keinen Gordon, keinen Huray  und  wenig Emory-Blut (auf der Vater-Seite) und das obwohl die Besamungsstationen und das Zuchtwertschätzsystem diese Stiere zu ihrer Zeit hoch gehandelt hat.

 

Was noch besonders auffällt, nur 5 der 50 gelisteten Stiere haben eine Persistenz unter 94. Unter den Top-20 ist gar kein Einziger!

 

Ich habe lange an den Anforderungen herumgespielt um eine Liste zu bekommen die meinen persönlichen Ansprüchen am nächsten kommt.  Jeder kann da selber eingeben was er will, es handelt sich hier also nicht um das perfekte Profil.

Quelle : ZuchtData
Quelle : ZuchtData

 

Also das sind wirklich Mindestanforderungen auf ganz niedrigem Niveau, man sollte meinen dafür eine lange Liste von Bullen zu erhalten.

 

Quelle : ZuchtData
Quelle : ZuchtData

Verfügbar sind nicht alle Bullen .

Alle Angaben ohne Gewähr,  ohne Anspruch auf Vollständigkeit

 

 

Mit diesen Bullen wird wohl nicht viel besamt werden, wer aber auf Nummer sicher gehen will, kann mit Prejula, Simbaboy, GS Huvi, Emsland PS, Purpro, Vegas, Julau, AG Vanpari, Cadence und Alino aktuell nicht viel falsch machen. Auch wenn die Zuchtwerte teilweise schon abgeschrieben sind.

 

Anibay und Harrison schafften es Aufgrund ihrer stark negativen  Fett- und (Anibay) Eiweißvererbung nicht in die Liste, zeigen sonst aber durchwegs gute Werte.

 

Wie gesagt, ihr könnt die Kriterien nach Euren Ansprüchen variieren, wichtig bleibt Reihung nach Nutzungsdauer bei hoher bis sehr hoher Sicherheit. Erhöht die mal auf 95% und schaut was passiert! Zu beachten ist dabei noch dass ausländische Stier im deutschen System in puncto Sicherheit  heruntergestuft werden. Simbaboy z.B. hat in der Schweiz mit über 400 Töchtern Sicherheit 98% (GZW), in D/AT aber nur 87%. Etpat, mein absoluter Lieblingsbulle, steht mit einem Minus von über 300 kg auch nicht auf der Liste, besamen tue ich mit ihm trotzdem, weil Nutzungsdauer und Persistenz einfach immer noch überragend bei ihm sind.

 

Das Problem an der Sache ist, dass die junge Generation der Besamungsbullen nach GZW selektiert wird und daher ein >>Prüfstiereinsatz<< kaum zu verantworten ist. Bei der aktuellen Strategie sind die meisten vermeintlichen Spitzenbullen reine Zufallsprodukte und keinesfalls einer überlegten Zuchtstrategie geschuldet. Der eigene Deckbulle ist für den ein oder anderen oft die bessere Alternative. Für die Gesamtpopulation ist das keine zufriedenstellende Lösung, daher müsste dringend ein Richtungswechsel bei der Bullenselektion erfolgen. Trotz massiver Fehlentwicklungen ist ein solcher aktuell nicht zu erwarten. Wir Züchter sollten uns deshalb langsam wirklich überlegen, aus welchen Quellen wir in Zukunft die Bullen schöpfen wollen, mit denen wir unsere Kühe besamen wollen? Braunvieh bewegt sich mit großen Schritten auf die Erhaltungszucht zu, die großen Player am Braunviehbesamungsmarkt distanzieren sich heute schon mehr und mehr von der Braunen Kuh, mit ihr ist kein Geld mehr zu verdienen. Dies ist zwar eine traurige Entwicklung, sie birgt aber auch die Chance für die Züchter die zu ihr stehen, neue Wege zu gehen. Wir sollten damit anfangen diese Wege zu suchen!