Zucht-Protektionismus schadet der Zucht

Protektionismus (lat. protectio, Schutz) ist eine Form der Handelspolitik, mit der ein Staat  durch Handelshemmnisse versucht, ausländische Anbieter auf dem Inlandsmarkt zu benachteiligen, um inländische Anbieter vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Ich frage mich, ob es so etwas auch bei uns in der (Braunvieh-) Zucht gibt?

Diese Frage stellte sich mir nach der aktuellen Zuchtwertschätzung im Dezember. Der US Bulle Dynamite legte im Gesamtzuchtwert um 2 Punkte zu und verbesserte sich in den Fitnessmerkmalen gar um 4 Punkte. Sein Zuchtwert Milch verharrte trotz eines leichten Anstiegs bei einem Minus von 336 kgM. Auf den ersten Blick nicht berauschend! Auch seine Melkbarkeit ist mit einem Minus von 82 schlecht. Nicht ganz nachvollziehbar ist dabei, dass er sich trotzdem in der Nutzungsdauer um 4 Punkte verbesserte, in der Persistenz gar um 8 Punkte. Kühe die wenig Milch geben und schlecht melken sind, gehen in der Regel schnell ab! Noch verstörender ist aber, dass die ersten 33 Töchter von Dynamite  eine 100-Tageleistung von immerhin 2690 kg erreichten. Bei einem Bullen mit über 300 kgM Minus im Milchzuchtwert würde man hier vielleicht 2300 kg erwarten. Gut, Dynamite wurde auf einem Niveau von 9270 kg eingesetzt, trotzdem knapp 2700 kg Milch in 100 Tagen sind nicht ganz schlecht. Dynamite ist darüber hinaus mit einem Euterzuchtwert von 139 die Nummer 1 unter allen Nachzuchtgeprüften Vererbern, vor Bender und Phil. Er macht ganz hoch sitzende Euter mit bester Aufhängung. Wir sind uns schon alle einig , dass kleine Euter bei Jungkühen nicht unbedingt ein Nachteil sind?  

Jetzt vergleichen wir Dynamits Zahlen mit seiner inländischen Konkurrenz an der Listenspitze. Die Töchter von Husold zum Beispiel, gaben bei einem Plus von über 800 kgM in 100 Tagen durchschnittlich 2462 kg Milch. Der extreme Milchvererber Cadura, übrigens über Cadence ein Halbbruder zu Dynamite, brilliert in der Liste mit einem Plus von 1070 kg Milch. Seine ersten 306 Töchter bringen es im Schnitt auf 2747 kg Milch. Okay Cadura hat zwar 10x mehr Töchter in der ZWS als Dynamite  diese geben aber im Schnitt nur 57 kg Milch mehr als die 33  von Dynamite. Trotzdem hat er ein Plus von über 1400 kg Milch gegenüber seinem Halbbruder auf dem Konto! Kann das sein? Pustertal, seit Monaten einer der besten Bullen der RBG bringt es auf ein Plus von 798 kg Milch. Seine 67 Töchter erbringen im Durchschnitt eine 100-Tageleistung von 2561 kg Milch. Das sind über 1100 Zuchtwert-kg mehr als bei Dynamite, aber 200 kg Milch weniger im Phänotyp. Brilliant in Greifenberg bringt es noch auf ein Plus von 257 kg Milch, seine Töchter gaben mit 2389 kg aber in den ersten 100 Tagen 593 kg weniger als die Töchter von Dynamite. Diese Listen ließen sich unendlich weiterführen. 

Keine Ahnung ob Dynamite ein guter Milchvererber ist oder nicht, trotzdem nähren die aufgeführten Vergleiche den Verdacht, dass hier einheimische Bullen bei der Berechnung bevorzugt und ausländische extrem benachteiligt werden. Den deutschen Besamungsstationen bringt das einen Vorteil, den ausländischen einen Nachteil. Das könnte man dann durchaus als Protektionismus bezeichnen und der ist gefährlich. Gefährlich, weil er uns durch vollkommen undurchsichtige Zahlenspielereien, den Blick auf den wahren Wert der Genetik verzerrt!