Neue Ansätze für die Zucht

Auf der Jahresversammlung der BZG Marktoberdorf in Ruderatshofen trafen im Laufe der Veranstaltung zwei grundlegend verschiedene Zuchtstrategien aufeinander. Während Zuchtleiter Dr. Franz Birkenmaier die genomische Zuchtwertschätzung mit massivem finanziellen und bürokratischem Aufwand sicherer machen möchte, stellte Zuchtberater Martin Wieser das System an sich in Frage. Zuechterblog.com stellen an dieser Stelle beide Modelle vor.

Martin Wieser: Sind wir auf dem richtigen Weg?

 

>>Sind wir in der Braunviehzucht auf dem richtigen  Weg?<< , diese durchaus kritische Frage stellte der unabhängige Zuchtberater Martin Wieser in den Raum.  Angesichts der schwindenden Kuhzahlen ist diese Frage berechtigt. Seit 2001 sei der Bestand an Braunviehkühen in Bayern um 22,5 Prozentpunkte zurückgegangen. Die Ursachen für dieses >>Dahinschwinden<< sind für Wieser hauptsächlich in der unbefriedigenden Leistungs- und Exterieursicherheit der jungen Braunviehkühe zu  suchen. Probleme beim Saugverhalten und ein massiver Anstieg der Fleischrinderbesamungen bei anhaltend hohen Exportzahlen, verstärkten diesen Trend zusätzlich. Wieser: >>Braunvieh steht in einem harten Verdrängungswettbewerb mit anderen Rassen und bestehen kann es am Ende  nur durch Qualität<<. Zwar unternehmen die Zuchtverbände und Besamungsstationen große Bemühungen um die Qualität kontinuierlich zu verbessern, ließen dabei aber einige wichtige Punkte außer Acht.  

 

 

Hoher OB-Anteil

 

Das Hauptproblem sieht Wieser darin, dass  die europäische Braunviehpopulation mit ihren an sich schon großen regionalen Unterschieden, unter einer kaum bewussten Kreuzungsproblematik leide.   Das moderne Braunvieh in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien, sei im Prinzip nichts anderes als eine Kreuzung aus original Braunvieh und der US-amerikanischen Brown Swiss Rasse. Ziel bei dieser Kreuzung war es alte, teils nicht mehr wünschenswerte Merkmale des Original Braunviehs auszukreuzen.  Solange der Blut-Nachschub aus den USA gewährleistet war, gelang es zumindest bei den Besamungsbullen den US-Blutanteil kontinuierlich zu steigern. Weil aber die heimischen Besamungsstationen ihre eigenen Zuchtprodukte an den Mann bringen mussten, landeten auf den Besamungslisten >>braune Kreuzungsprodukte<< und genau hier liegt für Wieser das Problem der modernen Braunviehzucht. Obwohl seit fast 50 Jahren in Europa Brown-Swiss-Blut eingekreuzt wurde, sei der OB-Anteil rasseübergreifend noch immer relativ hoch. Am Beispiel des bekannten Bullen Hussli und seinem noch einflussreicheren Sohnes Huray wird dies deutlich. Hussli hat laut Wieser einen OB Blutanteil von 41,4 Prozent, Huray von 34,2 Prozent. Nach Wiesers Theorie erzeugt diese inkonsequente  Zuchtstrategie, zugunsten eines hohen OB-Anteils innerhalb der Population, massive Probleme mit Blick auf die Leistungs- und Exterieursicherheit der heimischen Besamungsbullen und am Ende natürlich auch der Kühe.

 

Fazit

 

Die  Europäische Braunviehpopulationen hätte genügend züchterisches Potential um auf dem internationalen und nationalen Märkten zu bestehen (z.B. Vorteil Kappa- und Beta-Kasein). In puncto Zucht müsse aber ein Umdenken stattfinden – zumindest müssen alternative Zuchtstrategien gefördert und betrieben werden. Die Züchter und Verbände hätten entsprechend gute Chancen sich aus der Krise zu befreien. Das Handwerkszeug ist für Wieser eine konsequente Kuhfamilienzucht und der damit verbundene Einsatz von  liniengezüchteten  Natursprungbullen. Wieser abschließend: >>Kuhfamilienzucht und gezielte Inzucht kommt vor Besamungseinsatz und nicht umgekehrt! Je höher der OB-Anteil, desto langwieriger und schwieriger ist dieser Prozess<<.  

 

Dr. Franz Birkenmaier: Will ge-nomisch noch besser werden!

 

Auf die Kritikpunkte an der genomischen Selektion ging Dr. Birkenmaier ein. Dabei stellte er klar: >>Nicht jeder genomische Jungvererber der fällt, ist ein Negativererber<<. Den Beweis dafür lieferten immer wieder toll Jungkühe auf den Zuchtviehmärkten. Dass die Sicherheiten der genomischen Zuchtwerte bisher unbefriedigend sind, stelle aber auch Birkenmaier als Zuchtleiter nicht in Frage. Hier müssten große Anstrengungen unternommen werden um an dieser Stelle Verbesserungen auf den Weg zu bringen. In den Startlöchern steht das von der Bundesanstalt für Landwirtschaft mit 2 Mio. Euro geförderte Projekt >>Braunvieh Vision<<. Ziel, dieses auf vier Jahre angesetzten Programms ist laut Birkenmaier, eine Kuhlernstichprobe mit neuen Merkmalen in den Bereichen Gesundheit und Fitness zu etablieren. Bereits am 1. Juli, will die LfL mit der Datenerhebung beginnen. Insgesamt müssen 25.000 Kühe genomisch typisiert werden und parallel dazu deren Leistungsmerkmale erfasst werden.

 

 

Pro Gesund

 

Pro Gesund wird bei der Erhebung der Daten eine wichtige Rolle spielen. Diagnosen in Bezug auf Krankheiten im Bereich wichtiger Managementmerkale (Fruchtbarkeit, Euter- und Klauengesundheit) müssen dafür vom Landwirt und Hoftierarzt konsequent erfasst und an eine zentrale Datenstelle übermittelt werden. Die Teilnahme der Betriebe ist freiwillig, allerdings setzt das Prokjekt gewisse Standards. Die Betriebe sollten mehr als 50 Kühe haben, möglichst wenig mit Deckbullen arbeiten und mindesten 50 Prozent genomische Jungvererber in der Besamung einsetzen.

 

Unter besonderer Beobachtung stehen folgende Merkmale:

  1. bei Kühen
  • Milchfieber
  • Mastitis
  • frühe Fruchtbarkeitsstörungen
  • Zysten
  • Klauenschnitt

      2.  bei Kälbern

  • Durchfall
  • Atemweg
  • Kälbergrippe
  • Nabel
  • Saugverhalten

Ziele

 

•Steigerung der Sicherheit der gen. ZWS

•mehr Vertrauen in genomische Jungvererber

•Beschleunigung des Zuchtfortschritts

•Markenbildung Braunvieh

•Förderung der Genotypisierung weiblicher Rinder

•bessere Bullenmutterauswahl

•bessere innerbetriebliche Selektion

•besseres Anpaarungsmanagement

 

Vorteile für den Züchter

 

  • genomische Zuchtwerte der eigenen Herde
  • bessere Herdengesundheit
  • Aufwertung der eigenen Verkaufstiere
  • Auszeichnung für den Betrieb (begrenzte Teilnehmerzahl)

 

 

 

 

 

 


Kommentar Zuechterblog.com:

 

Jeder weiß dass ich von meiner persönlichen Meinung her näher bei Martin Wieser stehe als bei Dr. Birkenmaier. Daher ist es für mich schwierig hier objektiv zu urteilen.

 

Kuh Vision bei den Holstein, Fleckvieh Vision und Braunvieh Vision sind ein Eingeständnis der Rechenzentren in Verden und Grub, dass ihre bisherigen Bemühungen, eine genomische Zuchtwertschätzung auf die Beine zu stellen, gescheitert sind!

 

Anstelle dieses Versagen einzugestehen, versucht man nun stur und wissenschaftstreu wie man ist, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Allein beim Braunvieh stellt der Staat dafür 2 Millionen Euro Steuergelder zur Verfügung. Die Bauern müssen dabei nicht nur weiter das Versuchskanninchen spielen, jetzt müssen sie sogar noch ihre Arbeitskraft und eigenes Geld mit einbringen. Der Lohn, ein vermeintlich höherer Zuchtfortschritt und schöne Zahlen im Versteigerungskatalog.

 

In der Theorie hört sich das alles sehr gut an, aber die möglichen Fehlerquellen nehmen zu. Teilnehmen werden doch hauptsächlich Zuchtbetriebe, alle anderen haben keinen Bock auf mehr Dokumentation und Schreibkram. Werden diese wirklich am Ende ehrlich die Krankheiten und Wehwehchen ihre tollen Zuchtkühe melden? Alle Jungkühe im Programm sollen linear bewertet werden. Die lineare Bewertung hat in der Fläche noch nie richtig funktioniert, darum kommen auch in der Schweiz, den USA oder Deutschland völlig andere Balkendiagramme von ein und dem selben Bullen zustande. Kann man darauf eine Zuchtwertschätzung aufbauen?  Alle Experten loben den Zuchtfortschritt, aber ist dieser wirklich so ausgeprägt wie ihn die Zuchtwerte suggerieren?  Martin Wieser zeigte in seinem Vortrag eine Folie und die spricht Bände.

 

 

 

Eigentlich müsste man nach den Erfahrungen der zurückliegenden zwei Jahre die Reißleine ziehen und zugeben dass die genomische Selektion nicht mehr als ein kleines Hilfsmittel  von Vielen ist. Wie Triple-A, wie Nachzuchtschauen wie die gesamte Zuchtwertschätzung an sich.   Jedes Hilfsmittel ist wertvoll denn es unterstützt uns bei der Zuchtarbeit, aber man muss wissen wie man es benutzt und welchen Stellenwert man ihm zumisst. Dass dabei viele ihren klaren Menschenverstand, ihre Gefühl für Zucht, ihren Blick für das Tier an der Stalltüre abgeben ist eine Katastrophe.

 

Martin Wieser versucht den einfachen Züchtern echte handwerklichen Werkzeuge wieder näher zu bringen. Werkzeuge wie Kuhfamilienzucht, gezielte Inzucht, Kreuzungszucht usw. usw.. Er öffnet uns die Augen und zeigt Probleme auf. Sein Fazit ist ehrlich und deutlich und dafür möchte ich ihm danken!