Ein Hoch auf die (Braunvieh-) Liebe!

>>Braunvieh ist tot<< , dies sagte mir kürzlich ein Bekannter der die Milchviehhaltung in Kürze einstellt mit lächelnder Miene ins Gesicht. Ich nahm diese Aussage achselzuckend hin, die Leute reden viel. Wenige Tage später traf ich einen Vertreter einer süddeutschen Besamungsstation, der mir sehr betroffen erzählte dass die Besamungszahlen beim Braunvieh aktuell  regelrecht einbrechen. Ich wurde stutzig. beides passt irgendwie zusammen. Für mich sind  beide Aussagen nachvollziehbar. Sie sind nicht neu, denn seit Jahrzehnten läuft in der deutschen Braunviehzucht so einiges falsch. Unsere Braunviehzucht befindet sich in den Händen von  Männern denen es an einer ganz entscheidenden Fähigkeit fehlt , der "Braunvieh-Liebe". Ich sehe jetzt schon viele kopfschüttelnd vor dem Bildschirm sitzen und fluchen, >>Jetzt spinnt er<<!  Denen empfehle ich an dieser Stelle auszusteigen, denn es wird noch viel schlimmer! 

 

 Ich bin nämlich davon überzeugt unser Braunvieh ist vorerst nur noch durch Liebe zu retten. Liebe zu diesen wunderschönen Tieren, Liebe zu ihren schönen Augen, Liebe zu ihrer freundlichen Art, Liebe zu ihrer Ausstrahlung, Liebe zu ihrer Bereitschaft über viele Laktationen beste Milch zu produzieren, Liebe zu ihrer Ursprünglichkeit, Liebe zu ihrer Harmonie, Liebe zu ihrer Milch aus der sich wunderbare Produkte herstellen lassen, Liebe zu einer Kuh die zu den Alpen gehört, Liebe zu einer Tradition die älter ist als alle Zuchtprogramme, Liebe zur Heimat die ohne diese schönen Tiere um einiges ärmer wäre und Liebe zu Kühen die zu Bauern passen die nicht das Letzte aus ihren Kühen herauspressen wollen und sich darüber freuen wenn sie mit ihnen alt werden. 

 

Ja, es gibt Rassen mit einer höheren Erstlaktation , ja es gibt Rassen mit denen sich einmalig höhere Schlachtviehpreise realisieren lassen, ja die Vermarktung des Braunviehbullenkalbs ist schwierig, aber sind das hiebfeste Gründe es nicht mit dem Braunvieh zu versuchen oder ihm die Stange zu halten?

 

Wir melken bei uns seit vielen Jahren Braunvieh, Holsteins und Fleckvieh. Alle Rassen haben ihre Vorzüge und Schwächen, nichts ist perfekt und ich möchte an dieser Stelle niemanden schlechtreden. 

 

Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die Rasse zum Betriebsleiter und seiner Strategie passen muss. Ganz nüchtern betrachtet ist Braunvieh die Rasse mit der besten Balance zwischen Körpergröße, Gewicht und Leistung das dürfte auch der Grund für die im Rassevergleich höchste Nutzungsdauer sein. Diese Nutzungsdauer ist auch wirtschaftlich bedeutsam weil die Braunviehkuh erst mit zunehmendem Alter ihre Leistungsreserven voll ausschöpfen kann. Das liegt an der genetisch veranlagten Spätreife dieser Rasse. Die Braunviehkuh muss alt werden, um ihre Jungkuhdefizite gegenüber der Konkurrenz ausgleichen zu können!

 

Es macht daher überhaupt keinen Sinn der Braunviehkuh diese frühreife wegzüchten zu wollen, so wie dies seit Jahrzehnten mit der Brechstange versucht wird. Diese Strategie der hohen Einsatzleistungen zerstört das Braunvieh! Es führte bisher nur dazu, dass die Jungkühe tendenziell größer und schmäler wurden und an Fitness einbüßten.  Diesen Braunviehtyp braucht aber der Markt nicht, der Vorsprung der Holsteins ist hier nicht einzuholen. Auf die Fleckviehzucht möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Nur soviel, das zunehmende Gewicht mit steigendem Alter konterkariert  tendenziell eine lange Nutzungsdauer. Dies kann trotzdem ein wirtschaftlicher Ansatz sein, ohne Zweifel. Wer aber als Milcherzeuger mit seinen Kühen alt werden möchte, ist mit Braunvieh sicherlich auf der richtigen Spur. Einwerfen muss ich natürlich die Tatsache, dass auch Holsteinkühe alt werden können und hohe Lebensleistungen keine Seltenheit mehr sind. Allerdings lassen sich diese hohen (Lebens-) Leistungen meist nur unter intensiven Management- und Fütterungsbedingungen realisieren und das kostet Geld!  Braunvieh und Fleckvieh kommen hier mit deutlich weniger zurecht und verzeihen Managementfehler besser. Fleckvieh punktet mit hohen Kälber und Schlachtviehpreisen, Braunvieh mit einer deutlich höheren Nutzungsdauer. 

 

Nun kommen wir zum Thema Liebe. Die Frage ist, kann ein hoher Schlachtkuherlös den vorzeitigen Verlust einer Kuh emotional aufheben?  Dem nicht  so feingestrickte Typus des Milchbauern wird dies sicherlich keine schlaflosen Nächte bereiten, zumal bei zunehmender Betriebsgröße das Individuum sowieso keine besondere Rolle mehr spielt. Der Begriff Liebe leidet grundsätzlich unter solchen einkalkulierten Rein-raus-Bedingungen. Ein gewisser Grad an Verrohung ist hier leider Grundvoraussetzung, dass solche Betriebsmodelle überhaupt funktionieren.   Meiner Erfahrung nach reagieren hier Frauen deutlich sensibler. Ich konnte beobachten, dass es oft Frauen oder Kinder sind, die den reinen Fleckvieh- oder Holsteinzüchter vom Kauf des ersten Braunviehtieres drängen. Die Gründe dafür sind immer auf der emotionalen Ebene zu finden und nicht unbedingt auf der wirtschaftlichen. Braunviehkälber und Braunviehkühe üben eine besondere Wirkung aus, der sich emotional fühlende Menschen kaum entziehen können.  Erst kürzlich bestätigte mir dies  ein Direktvermarkter aus Norddeutschland, der sich Braunvieh mitunter auch aus  Werbegründen hält.  

 

Überzeugt bin ich mittlerweile davon,  dass  bei einem betrieblichen Kurswechsel  in Richtung Extensivierung Braunvieh überproportional punkten kann. Es kommt mit einer Reduzierung des Kraftfuttereinsatzes weit besser zurecht als andere Rassen. Die meisten Holsteinkühe sind wie Junkies, sie brauchen den Stoff Kraftfutter um ihre genetisch veranlage Leistungsbereitschaft mit hochkonzentrierten Nährstoffen ausgleichen zu können. Die Fleckviehkuh hat aufgrund ihres hohen Gewichts einen deutlich höheren Erhaltungsbedarf und reagiert auf eine verringerte Nährstoffversorgung tendenziell mit einem stärkeren  Leistungsrückgang. 

 

Man braucht eigentlich kein Prophet sein  um zu erkennen, dass genau hier die große Chance für das Braunvieh liegt. Unsere Welt verändert sich aktuell rasant, während die Weltbevölkerung steigt, stellt uns der Klimawandel  vor riesige Probleme. Der enorme Fleisch- und Milchkonsum der westlichen Industrienationen steht in der Diskussion. Die große Frage ist: Kann es sich die Menschheit in Zukunft noch leisten einen Großteil der weltweiten Getreide- und Sojaerträge in die Fleisch- und Milchproduktion umzuleiten? Ich vermute sie kann es nicht und das wird die Milchwirtschaft vor große Herausforderungen stellen. Die Milchproduktion wird sich zwangsläufig wieder auf die Grünlandstandorte konzentrieren und die große Aufgabe der Zucht wird es sein die zur Sau gemachte Kuh wieder zum genügsamen Rauhfutterfresser umzupolen. Im Ökobereich ist dies infolge der hohen Kraftfutterpreise bereits heute ein Thema! 

Sie schütteln noch immer den Kopf? Hier eine Folie zur aktuellen Entwicklung der Soja- und Weizenpreise. Nachzulesen übrigens auch auf der eigenen Kraftfutterrechnung!

 

Folie 1:  Sojapreisentwicklung der letzten 12 Monate (Quelle finanzen.net)

 

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Folie 2: Weizenpreisentwicklung der letzten 12 Monate (Quelle finazen.net)

 

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Natürlich kann sich die Situation kurzfristig entspannen, langfristig werden diese Trends wahrscheinlich nicht wegzudiskutieren sein. 

 

Die Umweltdiskussionen um belastetes Grundwasser, den Klimawandel und das Artensterben sind hier noch gar nicht erwähnt. 

 

Bis es der Letzte realisiert hat wird wahrscheinlich noch etwas Zeit vergehen und die Leistungsspirale wird sich noch weiter nach oben schrauben. Trotzdem sollte der vorausschauende Viehzüchter die Zeichen der Zeit schon heute erkennen und entsprechend reagieren. Weniger - und das habe ich bereits in einem anderen Bericht an dieser Stelle beschrieben - könnte mehr sein!

 

Also - Braunvieh ist eine sehr moderne Rasse mit enormem Zukunftspotential! Um dieses Potential erhalten oder steigern zu können bedarf es aus meiner Sicht tiefgreifender Änderungen. Die Hoffnung dass diese kurzfristig von den Verantwortlichen der Zucht ausgehen können habe ich fast schon aufgegeben. Ich richte diesen Bericht an diesem Sonntag Nachmittag deshalb an alle Menschen mit echter Braunviehliebe im Herzen. Ich ermuntere sie nicht aufzugeben und an die Rasse zu glauben und in sie zu investieren. Das Besamungsverhalten muss unbedingt an die Herausforderungen der Zukunft angepasst werden! Das geht langfristig nicht ohne die Besamungsorganisationen und Zuchtverbände. Auch an diese richtet sich dieses Schreiben.  Die aktuelle Zuchtstrategie muss schnellstmöglich auf den Prüfstand gestellt werden.  Die beängstigenden Besamungszahlen beim Braunvieh sind hier selbstredend und sollten endlich ein Weckruf sein!  Es ist 5 Minuten vor Zwölf - aber es ist noch nicht zu spät!

 

Für alle Verzagten habe ich ich das bekannte Petrus Bibelzitat über die Liebe (1.Kor 13,1-3)  Braunviehkonform umgeschrieben:

 

>Braunviehliebe ist langmütig und freundlich, sie eifert nicht,  sie muss sich nicht durch Höchstleistungen aufblähen, sie verhält sich nachhaltig,  sie sucht nicht das Extreme, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet nicht allein das schnelle Geld zu, sie freut sich derweil an der Schönheit und den echten Werten im Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Echte Braunviehliebe erträgt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Am Ende ist sie treu, klug und wo es sein muss aufmüpfig und rebellisch!<< 

 

Wenn sich viele dieser Zeilen besinnen, hat das Braunvieh in dieser Welt auch in Zukunft einen sonnigen Platz.  

 

 

Allen, die das mit einem gewissen Anspruch nach Wirtschaftlichkeit für totalen Schwachsinn halten, möchte ich noch ein Zitat des Ökonomen Ernst Friedrich Schumacher mit auf den Weg geben. Er bezog es zwar auf den Boden und nicht auf das Braunvieh, auf das Braunvieh finde ich passt es aber sogar noch besser.

 

>>Wir können sagen, dass die Art und Weise, in der  wir Menschen mit dem Boden umgehen, in erster Linie auf drei Dinge ausgerichtet sein muss - Gesundheit, Schönheit und Dauerhaftigkeit. Das vierte Ziel - das einzige , das die Fachleute akzeptieren - Produktivität, wird dann beinahe als Nebenprodukt erreicht<<. 

 

Also,  lasst uns gesunde, schöne und dauerhafte Braunviehkühe züchten, der wirtschaftliche Erfolg wird sich von selbst einstellen!