Zuchtwertschätzung April 2022 - Die Wahrheit liegt zwischen den Zahlen

 

 

Die "intellektuelle Elite" der Rinderzucht hat vor  geraumer Zeit beschlossen, das marode System der Zuchtwertschätzung mit Einführung der genomischen Selektion zu retten. Obwohl bahnbrechende Erfolge bisher  ausblieben und die Wegränder mit Rohrkrepierern gesäumt sind, hielt und hält man am System konsequent und unbeirrt fest -  "Vorwärts immer, rückwärts nimmer!"  lautet das Motto An dieser Stelle verweise ich auf einen aktuellen Artikel der renommierten Fachzeitschrift Holstein International, Ausgabe 340, April 2022. Sein Verfasser Doug Savage vertritt darin die Meinung, dass die Töchterinformationen die heute in die Zuchtwerte einfließen weniger sicher sind und zu Verzerrungen führen. 

 

Eine neue Enttäuschung ist der  Bulle Antonov. Die genomische Selektion identifizierte ihn als Überflieger, die Bulleneinkäufer erhöhten ihn zum stark eingesetzten Bullenvater und 621 Töchter in der Zuchtwertschätzung stempeln ihn 7 Jahre nach seiner Geburt nun zum Rohrkrepierer ab. Wenn Doug Savage in seinem Artikel recht hat, dann ist Antonov wahrscheinlich noch viel schlechter als sein Zuchtwert bisher erwarten lässt, wurde er doch gezielt auf die besten Jungrinder und Kühe der Population angepaart. Die gute Nachricht meinerseits ist, mit 95% Sicherheit (die hat Antonov´s GZW jetzt) lässt sich die Spreu vom Weizen doch relativ sicher trennen. Diese Marke ist aus meiner Sicht der Goldstandard. Und wer bei der Anpaarung seiner Kühe auf Nummer sicher  gehen möchte, sollte den Einsatz solcher Stiere in Erwägung ziehen. 

 

Es gibt in diesem Bereich durchaus Bullen die bis heute als absolute Überflieger eingestuft werden können, von denen aber keiner mehr redet, komischerweise nicht einmal die Stationen die sie anbieten. Einer dieser Bullen ist für mich Julau. Julau erhielt im Dezember 2011 seinen ersten genomischen Zuchtwert. Mit GZW  122 gehörte  er sicherlich nicht zur absoluten Spitze seines Jahrgangs. Heute, 12 Jahre nach seiner Geburt, steht Julau trotz einer Abschreibung von 16,7 GZW Punkten bei einem Gesamtzuchtwert von 125!!! Vor ihm stehen heute nur Hapat, Vassli und Vanpari. Hapat und Vanpari verdanken ihr Durchhaltevermögen sicherlich ihren Etpat- Müttern. Beide sind noch verfügbar und beide sind sicherlich gute Bullen. Aber beide profitieren rechnerisch bis heute von den Modell-Lieblingen Vasir, Huray und Etpat. Julau hat sich dagegen seine Zahlen selber erarbeiten müssen. Mit dem Pedigree Juleng x Aurum x Poldi x Westgate hat er väterlicherseits doch einige "Bremser" im Stammbaum.  Julaus Zuchtwerte haben damit deutlich mehr "Tiefgang" als seine höher platzierten Jahrgangskollegen.  Tiefgang? Ein Vergleich der Zuchtwerte der Vorfahren  von Vanpari und Julau erklärt was ich damit meine.  Vanparis Vater Vasir liegt aktuell bei GZW 118 sein Muttersvater Etpat bei 115, ergibt im Mittel 116.  Julaus Vater Juleng liegt bei GZW 105, sein Muttersvater Aurum bei 88. Ergibt im Mittel 96. Damit liegt Vanparis Abstammungszuchtwert satte 20 Punkte über dem von Julau. Aktuell liegt Vanpari bei GZW 131 und Julau bei 125.  Der Vorsprung beträgt also nur 6 statt 20 Punkte. Wenn man nun davon ausgeht, dass trotz der hohen Sicherheiten der Pedigreezuchtwert immer noch in der Schätzung Gewichtung findet, dann könnte es durchaus realistisch sein, dass Julau in Summe sogar bessere Nachkommen hinterlässt als Vanpari. Ich möchte mit diesem Beispiel Vanpari nicht abwerten und Julau nicht aufwerten, ich möchte nur zeigen, dass es beim Lesen der Zuchtwertlisten auch immer einer gewissen Interpretation  bedarf. Hoch ist nicht immer gut und niedrig ist nicht immer schlecht.

Die Wahrheit liegt zwischen den Zahlen! 

 

Braunvieh als spätreife Rasse kann aus meiner Sicht im Konzert der Rassen nur bestehen, wenn die Kühe auch wirklich im Vergleich älter werden und unkomplizierter sind als die Holstein- und Fleckviehkonkurrenz. Dazu gehört nicht unbedingt die absolute Höchstleistung im 1. Kalb (Prinzip: Melken mit alten Kühen!), aber gute, drüsige Euter, beste Fundamente und eine gute Fruchtbarkeit. Ich bin zwar alles andere als ein Schauzüchter, trotzdem denke ich dass bei der Zukunft des Braunviehs das Exterieur eine wichtige Rolle spielt.  Es gibt beim Braunvieh in den Zuchtwertlisten viele hoch platzierte Bullen, sie erfüllen aber oft nicht die Exterieurvoraussetzungen um das zu halten was die Zahlen versprechen. Pustertal z.B. ist so ein Bulle. Seit Jahren ist er ganz oben in den Listen zu finden, aber seine Euter sind tief, das Zentralband ist schlecht und auch die Becken lassen zu wünschen übrig.   Hier gibt es eigentlich nur 2 Möglichkeiten, entweder die Bewertung seine Töchter ist fehlerhaft, oder seine Zuchtwerte sind überbewertet. Von Bullen wie Pustertal müssen eigentlich Töchtergruppen ausgestellt werden, damit man sich ein Bild machen kann. Ich möchte gar nicht behaupten dass Pustertal ein schlechter Bulle ist, ich kann nur mit einem so kontroversen Erscheinungsbild seiner Zuchtwerte überhaupt nichts anfangen und lasse im Zweifelsfall lieber die Finger von solchen Stieren.  Mein Problem ist, ich traue der deutschen Zuchtwertschätzung (und vor allem der Exterieurbewertung) nicht über den Weg. Fast alle hohen Bullen bauen ihren (Zuchtwert-) Erfolg auf Huray und Vasir auf. Das sind die Zugpferde im System. Unter den Top 20 findet sich kein einziger nachzuchtgeprüfter  Bulle mehr der ohne diese beiden Vererber auskommt. Aber ich frage mich seit Jahren ob das gut gehen kann? Ich frage mich ob diese Bullen wirklich so gut waren, um das Fundament der Deutschen Braunviehzucht zu stellen?  Ich glaube, dass sie in den Bereichen Fitness und Exterieur der Rasse mehr schaden als nützen und dass wir Deutsche uns mit unserem Zuchtwertsystem (im niedrigen Sicherheitsbereich) selber in die Tasche lügen.

Ich möchte hier aber nicht falsch verstanden werden, denn alle modernen Zuchtwertmodelle  leiden unter Unsicherheiten im niedrigen Sicherheitsbereich. Während es den aber Holsteins gelingt dies  mit hohen Einsatzleistungen zu kompensieren und  das  Fleckvieh mit guten Schlachterlösen glänzt , kann sich das Braunvieh  Fehltritte kaum erlauben. Jede verlorene Jungkuh tut der Rasse weh! Umso mehr ist der bedingungslose Glaube an die genomische Selektion beim Braunvieh  ein Ritt auf der Rasierklinge. 

 

 

(Einwurf: Natürlich weiß ich, dass viele Leser diese Meinung nicht teilen und dieser Blog sie immer wieder in Wallung bringt. Ich beanspruche nicht für mich, dass dieser Blog der Weisheit letzter Schluss ist, aber ich sehe, ich höre, ich melke und ich denke. All dies bewegt mich dazu, diese Zeilen in meiner freien Zeit, für umsonst,  zu Papier zu bringen. Allen die anderer Meinung sind, stehe ich gerne Rede und Antwort oder lasse mich eines Besseren belehren)

 

Und was für Bullen bleiben dann übrig wenn man der Sicherheit der Zuchtwerte mehr Beachtung schenken will? 

 

Ich möchte  AG Verdi nennen, wohlwissend, dass  ich ihn an dieser Stelle schon einmal "zerrupft" habe.  Verdi stürzte mit seinen ersten Töchtern in Milch deutlich ab, stabilisierte sich dann aber auf hohem Niveau und hält dies bis heute. Er macht wohl keine schönen Jungkühe, wer sich mit 3.500 Töchtern als so überragender Allrounder präsentiert, verdient aber Anerkennung!  Mit seinem Pedigree Versace x Pronto x Hussli x Dotson ist er zwar auch kein Exote aber er verbindet hohe Inhaltsstoffe mit einer soliden Leistung und besten Fitnesseigenschaften. 

 

Julau:    Wie AG Verdi ist auch Julau ein sicher geprüfter Allrounder ohne große Schwächen. 

 

Simbaboy: Auch Simbaboy kann seine Zuchtwerte halten und ist mit hoher Sicherheit die Nummer 2 der nachzuchtgeprüften Vererber in der Schweiz. Mittelgroße Kühe mit guten Fundamenten und Eutern. 

 

Brilliant: Der Brookings-Sohn aus Egiz Selina kann seine Zuchtwerte gut halten. Bis auf die leicht unterdurchschnittliche Melkbarkeit zeigt er kaum gravierende Fehler auf. 

 

Tequila:  Tequila ist ein US Bulle und mit dem Pedigree Carter x Alloy x Pronto x Gordon x Prophet eine Linien-Alternative. Er verbessert sich mit steigender Töchterzahl. Schaut ihn euch mal an!   Carter war ein guter Bulle mit sehr schlechter MBK. Tequila ist hier nur leicht negativ. 

 

Hacker: Hacker ist und bleibt für mich einer der komplettesten Huray-Söhne.   Unauffällige Kühe die bleiben! Sein Sohn AG Hamburg macht sich bisher ganz gut und könnte das Zeug dazu haben ihn zu beerben. Bei Select Star in der CH steht mit Hacal (Hacker x Calvin x Payoff x Zoldo) ebenfalls ein später Hacker-Sohn in den Startlöchern.

 

Calvin: Calvin bleibt für mich ein toller Bulle  der sehr ausbalancierte Kühe produziert. Leider geht sein Spermavorrat zur Neige. Mit seinen  Söhnen Pete (Calvin x Blooming x Vigor x Playboy x Starbuck) und Dairystar (Calvin x Payssli x Brookings x Vigor) besteht auch hier Hoffnung auf Nachfolge. 

 

Dynamite:  Diesen Bullen möchte ich niemanden aufschwätzen er macht sicherlich keine 30-Liter-Jungkühe am Band und  seine MBK ist zu beachten ,  aber er hält sich stabil, hat eine etwas alternative Blutführung, ist ein reiner US-Bulle, hat eine tiefe Kuhfamilie hinter sich , super Exterieur, gute Gehalte, Kappa Casein BB, A2A2  und man hört immer wieder Gutes von ihm. Sein Vater Cadence verdient immer noch Anerkennung und wer noch Sperma von ihm hat, kann sich glücklich schätzen. 

 

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Wenn jemand noch Bullen weiß, die es hier verdienen Erwähnung zu finden, kann mir gerne eine Mail schreiben.