Nachtrag zu Zuchtwert(über)schätzung

Ich muss noch einmal Bezug auf den Vorbericht nehmen. Die Aussagen von Herrn Dr. Rensing erklären unser  Zuchtwertsystem so klar und eindeutig, dass es sich lohnt seine Aussagen von mehreren Seiten zu beleuchten.  

 

Ich wiederhole noch einmal die Kernaussage seines Berichts:

>>Um nur noch sehr begrenzt Überraschungen bei töchtergeprüften Bullen zu erleben, dürfte man diese erst selektiere, wenn genügend Töchter mindestens die zweite Laktation abgeschlossen haben. Aber dann ist der Abstand zu den zeitgleich verfügbaren hohen genomischen Bullen so groß, dass man bereit sein muss, sich mit weniger Zuchtfortschritt zufriedenzugeben.<<

 

Das heißt, wir kennen einen wirklich guten Bullen erst wenn seine Töchter in der 3. Laktation stehen.  Dann hat er aber bereits mindestens 6 Zuchtwertschätztermine auf dem Buckel und ist soweit abgeschrieben, dass er in den meisten Listen dermaßen weit abgerutscht ist, dass er gar nicht mehr auf dem Schirm der meisten Züchter und Analysten erscheint. Natürlich hat man von jungen Bullen mit ersten Töchtern sichere Informationen über ihre Einsatzleistung und ihr Exterieur (vorausgesetzt der der sie bewertet hat irgendeine Ahnung von Kühen, was leider nicht immer der Fall ist), dies sagt aber noch lange nichts darüber aus wie langlebig, fruchtbar und gesund eine Kuh ist. Es sagt überhaupt nichts darüber aus in welchem Umfang und ob überhaupt sie ihre Leistung in den Folgelaktationen steigern kann. Gerade bei einer spätreifen Rasse wie dem Braunvieh ist das ein riesiges Problem. Wir alle wissen doch aus Erfahrung, dass oft unsere alten Kühe im Stall in vielen Fällen Spätstarter waren.  Es ist in zweierlei Hinsicht ein Problem, zum einen haben diese Spätzünder oft selbst keinen hohen Gesamtzuchtwert und erreichen selten den Status einer Bullenmutter. Zum anderen fallen Bullen deren Töchter in der Einsatzleistung versagen gleich ganz früh durchs Raster und werden nie im Leben Bullenvater. Zusammengefasst heißt das, wir schließen diese Spätzünder die ab der 2. und 3. Laktation (oder noch später) ihr volles Leistungsspektrum offenbaren komplett aus der Zucht aus und züchten einseitig auf Frühreife. Herauskommt eine fatale >>Holsteinisierung<< der Braunviehzucht! Immer kürzere Selektionsintervalle sollen die Gier nach immer höheren Zuchtfortschritt generieren, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wir schließen zu oft die wirklich guten Bullen und Kühe aus der Zucht komplett aus und schaffen mit den Knallfröschen die laut krachen, deren Rauch aber schnell verfliegt. 

 

Die Lösung? Wir müssen erkennen dass wir echten Zuchtfortschritt nur mit sicher geprüften Kühen und sicher getesteten Bullen erreichen können.  Wenn wir diesen Richtungswechsel beim Braunvieh realisieren können, werden am Ende wieder Kühe in den Ställen stehen mit denen die Milchbauern zufrieden sind und die Bestände werden sich von selbst erholen. Fahren wir den Kurs der Holsteinisierung weiter wird die Rasse verschwinden, denn niemand braucht eine schlechte Kopie einer sowieso über kurz oder lang aus der Zeit gefallenen Holsteinkuh. 

 

Ich versuche seit nunmehr 5 Jahren in diesem Blog dies mit meinen bescheidenen Mitteln zu erklären. Ich stelle immer wieder Bullen vor die aus meiner Sicht gute, langlebige Braunviehkühe hinterlassen. Viele dieser Bullen haben sich über die Jahre zu Pfeilern der Braunviehzucht entwickelt (z.B. Brookings, Hacker, Calvin, Simbaboy, Etpat, Hucos, Prejula, Dynamite). Nun hat erstmals einer der führenden Genetiker in diesem Land meine Ansichten 1:1 untermauert (unabsichtlich). Darüber freue ich mich!